Um aus Agropoli auf der richtigen Straße herauszukommen, muss man fast allwissend
sein oder dort wohnen. Möglicherweise reicht das letztere aber auch nicht, denn
die Leute, die wir fragen, geben uns auch nicht die richtige Auskunft. Wie auch
immer, wir wollen eigentlich über die Berge fahren, weil dies der kürzeste Weg
ist, müssen aber feststellen, dass die Straße eine Kraftverkehrsstraße ist und
damit für Fahrräder verboten. Also nehmen wir die Küstenstraße, die ein einziges
Auf und Ab darstellt. Der höchste Punkt liegt zwar nur bei ca. 300 m, aber immer
wieder geht es bis zum Meer herunter und dann wieder hinauf. Schätzungsweise
insgesamt 2000 Höhenmeter legen wir heute zurück.
Immer wieder genießen wir herrliche Ausblicke auf die Küste und Berge im Landesinneren.
Der Duft von sonnenbeschienenen Kiefernwäldchen und Pinien ist etwas, was wir zu Hause
in dieser Form nicht haben. Bei blauem Himmel und Sonnenschein ist es trotzdem
nicht zu heiß, zumindest in der Höhe ist der Wind herrlich erfrischend.
In Acciaroli machen wir in einem kleinen Lokal am Hafen Pause. Eine Gruppe deutscher
Radfahrer, die mit einem Reiseunternehmen in einer kleinen Stadt in der Nähe Urlaub machen,
sitzt am Nebentisch. Wir erfahren, dass sie heute vormittag eine kleine Radtour
machen. Als wir ihnen von unserer Reise berichten, meinen sie, wir hätten jetzt ihren
ganzen Maßstab zerstört. Na ja.
Der Tag wird hart. An einer Steigung sind 12% angegeben. Meiner Schätzung nach
sind es aber eher 22%. Nur mit äußerster Mühe kann ich im Sattel bleiben, wobei
ich Angst habe, den Lenker abzubrechen, so fest muss ich beim Treten ziehen.
In Palinuro gibt es ein berühmtes Kap mit steilen Felsen zum Meer und einigen
Höhlen, die wir uns aber nicht ansehen. Stattdessen genehmigen wir uns ein
ausgesprochen leckeres Eis in einer kleinen Gelateria. Unsere Lebensgeister
haben das aber auch dringend nötig.
Michael ist eine richtige Kämpfernatur. Für den zweiten Tag mit einer solchen
Belastung macht er äußerst tapfer mit, obwohl ihm sicherlich alles weh tun muss.
Irgendwann nach Palinuro überschreite ich die 2000-km-Grenze, ohne darauf zu
achten. Deshalb gibt es auch kein Bild von dem Tachostand.
Das letzte Teilstück geht wieder von der Küste fort durch eine schroffe
Berglandschaft mit einigen Tunneldurchfahrten. Zum Glück kommen gerade keine
knatternden Motorräder. Aber auch hier wieder ziemliche Steigungen, die kein
Ende nehmen wollen. Als es endlich bergab geht, dürfen Fahrräder wieder die
einzige Straße, die direkt zu unserm Ziel führt, nicht benutzen. Die Straße ist
in der Generalkarte als "gelbe" Straße, also als Nebenstraße aufgeführt. In
Wirklichkeit ist sie autobahnähnlich. Also fahren wir auf Nebenstraßen zum
Meer hinunter. Hier finden sich gefährliche Stufen von ca. 20 cm Höhe in der
Straßenoberfläche, die man bei den hohen Geschwindigkeiten bergab fast zu spät
sieht. Doch wir sind vorsichtig; es passiert nichts.
In Scario am Meer suchen wir ein Hotel; die Leute verweisen uns aber nur an
geschlossene Hotels. Ein Mann ist so nett, mit dem Auto vor uns her zu fahren,
damit wir es auch finden. Leider ist es genau wie das Nachbarhotel auch
geschlossen. Es ist eben noch keine Hauptsaison.
So müssen wir nochmal 3 km weiter zum nächsten Ort, Policastro. Hier gibt es
direkt am Ortseingang ein preiswertes, aber gutes und vor allen Dingen geöffnetes
Hotel. Hier werden unsere Fahrräder in einem besonderen Raum verschlossen, und
im Haus befindet sich auch ein gutes Restaurant, was wir ausgesprochen gerne
in Anspruch nehmen.
Ich bin mal gespannt, ob die Küstenstraße, die wir morgen nehmen müssen, ebenfalls
eine Kraftverkehrsstraße ist. Wenn das so ist, dann ist Italien eindeutig kein
fahrradfreundliches Land. Eine andere Möglichkeit weiterzukommen gibt es mit
dem Fahrrad dann nicht. Aber auch die Küstenstraße wird wieder etwas bergig sein,
so wie der Straßenverlauf in der Karte aussieht und die Höhenangaben der Orte am
Weg vermuten lassen.
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